Was macht man als Triathlet im Winter? Auf der Rolle trainieren (neudeutsch auch „zwiften“ genannt), im Hallenbad zum Schwimmen gehen, beim Lauftraining bei Sauwetter und Matsch frieren oder in den Süden ins Trainingslager fliegen? Da dachten wir: Das ist nix für uns – wir machen mal einen auf „Ironman“ und gehen zum Wintersport! (Genauer gesagt Skitourenrennsport, in Fachkreisen auch Ski Mountaineering oder auch kurz „Skimo“ genannt)
Also hab ich erst einmal Material gekauft – schließlich lieben Triathleten, ich meinte natürlich „Wintersportler“ (Der geneigte Leser muss sich die Frage selber beantworten, ob Triathleten nun Sportler oder Athleten sind. Wir sind leider zu keinem abschließenden Urteil gekommen. Ferner weisen wir darauf hin. dass aus Gründen der Lesbarkeit im Text die männliche Form gewählt wurde, die Angaben sich jedoch auf Angehörige beider Geschlechter beziehen.), ordentliches Material zu shoppen. Natürlich muss dieses besonders leicht sein und den Anforderungen der International Ski Mountaineering Federation (ISMF) entsprechen. Auch die Wintersportler haben sich mittlerweile in Verbänden organisiert und sich einem dem Triathlon ähnlich ausufernden Regelwerk unterworfen. Damit nicht allzu viel Urlaubsfeeling aufkommt, wurde natürlich zusätzlich auch bei einem bzw. zwei Wettkämpfen gemeldet. Das alles soll ja auch einen entsprechenden Trainingseffekt haben und nicht aufgrund des maßlosen Konsums von Ingwertee, Schokolade und Kaiserschmarren die Leistungsfähigkeit im Sommer negativ beeinflussen.
Zunächst ging es daher nach Immenstadt im Allgäu. Pünktlich zur Abfahrt begann es zu regnen und später auch heftig zu schneien. Das war auch bitter nötig, denn das Rennen in Immenstadt stand aufgrund von Schneemangel kurz vor der Absage.
Das Menü im Allgäu: Deutsche Meisterschaften im „Vertical“. Für alle Interessierte: Da rennen Sportler bzw. Athleten mit Ski an den Füßen einen Berg hoch und wer jetzt sowas wie „abfahren“ erwartet, sollte unseren Bericht weiterlesen.
In Immenstadt nach einer spektakulären und schneereichen Autofahrt angekommen, wurde zunächst die Strecke der Deutschen Meisterschaft inspiziert.
Erste Erkenntnis: Es brauchte noch dringend Schnee. Insbesondere im unteren Teil fühlte man sich eher an die Liegewiese im ehemaligen Nordbad erinnert als an eine Piste für ein Skirennen. Über Nacht fielen dann aber im Tal ca. 40cm, so dass man am Rennmorgen wohl eher von zu viel Schnee ausgehen musste. Der Veranstalter vom SC Immenstadt hatte es am frühen Morgen jedoch noch geschafft, 20 Skitourengeher bis zum Gipfel zu schicken, die eine Spur anlegten. Eine maschinelle Präparierung der Piste war nicht vorgesehen, was das ganze allerdings noch anstrengender werden ließ.
Mein lieber Reinhard war am Start. Da ich mich noch mit den letzten Resten einer Erkältung herumschlagen musste, verzichtete ich und war dafür als Supporter am Start. Ein weiterer Skikollege von Reinhard und ich machten uns dann auch vorab mit den Ski auf den Weg zum Ziel, um „Reini“ dort in Empfang zu nehmen. Reinhard stellte sich bei immer noch heftigem Schneefall mit Rucksack, Ski, Skitourenschuhen, Stöcken und Helm und der obligatorischen Sicherheitsausrüstung (bestehend aus Lawinenverschüttensuchgerät (LVS), Lawinenschaufel und –sonde, Rettungsdecke und Signalpfeife) auf den Marktplatz in Immenstadt. Ein Skitourenrennen beginnt nämlich klassisch nicht auf der Piste, sondern häufig in der Ortsmitte. Die Sportler bzw. Athleten rennen dann zur Piste, um sich erst dort die Ski anzuschnallen. (und wer sich jetzt, wie ich, fragt warum, dem sei gesagt: „Mei, wei mer des hoat, so moacht.“) Nach einer knackigen Laufpassage mit Ski auf dem Rücken durch zum Teil knietiefen Schnee sowie ungeräumten Straßen und Wegen (auch hier kann man übrigens einen 4min. Schnitt pro Kilometer rennen, wie es der spätere Sieger vormachte) ging es gut 750 Hm bergauf und fertig – denn oben ist man fertig! Das Ziel eines „Verticals“ ist es, so schnell wie möglich mit Ski den Berg hoch zu rennen. Runter kommt man dann entweder per Ski oder mit der Sesselbahn. Trotz falscher Wahl des Felles, das zum Aufstieg auf den Skibelag geklebt wird, schaffte es Reinhard noch unter die Top 30 in der Gesamtwertung von ungefähr 60 Starten (in der Altersklasse 1974-1998 war es sogar Platz 21) und konnte im Ziel einen Rekord über einen neuen maximalen Durchschnittspuls bei einem Wettkampf „feiern“. Schmerzhaft scheint es also allemal gewesen zu sein.
Erstes Zwischenfazit: 1. Es gibt noch viel beklopptere Sachen als dieses Triathlon. 2. Es macht unglaublich viel Spaß, einen Berg mit Ski hoch zu rennen. 3. Maxpulserfahrung der anderen Art sowie 4. Das Berglauftraining am Frankenstein scheint zumindest die allergrößten Schwächen halbwegs kaschiert zu haben.
Tags darauf sind wir wiederum bei ordentlich Schneefall einmal quer durch die Alpen nach Saalfelden gefahren. Aber gute Freunde kann niemand trennen und so hatten wir immer jede Menge Spaß – vor allem wenn ich mal wieder im Sportgeschäft Material gekauft habe, weil mir noch das bestimmt allerletzte Teil zu meiner Ausrüstung fehlte (Skitourenrennrucksack, Stirnlampe mit mehr Lumen, Skitourenschuhe anpassen lassen, Skitourensocken, etc. – hab jetzt übrigens auch eine Mitgliedskarte im lokalen Sportgeschäft in Saalfelden, falls jemand dort einmal ebenfalls einkaufen sollte, kann er mich gerne ansprechen.).
Aufgrund der erheblichen Schneefälle in den kommenden Tagen (Im Nachbarort Hochfilzen fielen rund 3m Schnee und so wurde dort ein neuer Schneehöhenrekord aufgestellt. Nach dem bekannten Moto #betherecordbreaker haben wir also den Schneerekord dort zumindest miterlebt.) und der damit verbundenen großen Lawinengefahr können wir an dieser Stelle leider nicht von ausgedehnten und erholsamen Skitouren und entsprechenden Pulverschneeabfahrten berichten, sondern nur von Skipistenhochrennaktionen, Wechseltraining von Downhill zu Uphill und umgekehrt, Männer beim intensiven Bügeln von Skibelag und Fellen, weiteren Shoppingaktionen zur Vervollständigung des Equipments, Unmengen von Ingwertee und noch mehr Schnee. Donnerstags haben wir dann bei – wie könnte es anders sein – heftigem Schneefall noch Frauke, Reinhards Frau, vom Bahnhof in Rosenheim abgeholt, die dort nach einer zwölfstündigen Zugfahrt (!) gestrandet war.
Unser zweites Zwischenfazit: Dreimal so eine Piste hochrennen ist auch nichts anderes als Schwimmen im Nordbad. Ingwertee kann auch zu einem Geschmackserlebnis werden. Schnee ist schön, zu viel Schnee ist eher hinderlich…
Am Freitag stand dann das Mountain Attack (im örtlichen Dialekt auch „Maundähn Äddegg“ genannt) auf dem Programm. Das ist das größte Skitourenrennen in Österreich mit mehr als 1.000 Startern auf drei unterschiedlichen Strecken in Saalbach-Hinterglemm. Der Start des Rennens ist nach dem regulären Skibetrieb um 16 Uhr, so dass man in den Genuss kommt, in die Dunkelheit zu laufen bzw. zu fahren und in der Dunkelheit zu finishen. Daher war ich auch so froh, im Vorfeld noch in eine ordentliche Stirnlampe investiert zu haben.
In einem Moment geistiger Umnachtung hatte ich mich von Reinhard im Spätsommer zu diesem Event überreden lassen und muss wohl gedacht haben, dass so ein Skitourenrennen auch nicht härter als ein Langdistanzrennen sein kann. Wie sehr man sich doch im Leben täuschen kann, überrascht mich auch immer wieder….
Zum Glück hatten wir uns für die mittlere Streckenlänge entschieden und nicht für die Marathonstrecke, die aber aufgrund der hohen Lawinengefahr ohnehin verkürzt werden musste. Unser Rennen hatte somit rund 2100 Hm im Anstieg verteilt auf zwei längere Aufstiege und Abfahrten, jeweils unterbrochen durch zwei kürzere Anstiege und dazugehörige Abfahrten. Dieses Rennen ist ein sogenanntes Individual. Beim Individual sprintet man, wie der aufmerksame Leser bereits weiß, von einem Marktplatz, diesmal in Saalbach, bis zur Piste, schnallt sich die Ski mit Fellen an und rennt dann bergauf. Aufgrund der doch beträchtlichen Steigung des ersten Anstiegs haben wir sog. Harscheisen montiert. Harscheisen sind rechteckige Bleche, die unter die Skischuhe in die Bindung eingeklickt werden und die sich bei jedem Schritt links und rechts vom Ski in den Schnee graben, so dass man nicht rückwärts den Hang „owi“ rutscht, wenn die Felle nicht mehr halten sollten. Das war im Übrigen die beste Entscheidung überhaupt, da uns hier bereits der ein oder andere übermotivierte Wintersportler bzw. Athlet, der keine Harscheisen montiert hatte, entgegengepurzelt kam. Die Piste des Schattbergs hatte nämlich an der steilsten Stelle knappe 40 Grad Steigung und war auf dem Pistenplan als „dunkelschwarz“ klassifiziert.
Oben angekommen fellt man ab und fährt ins Tal – so zumindest die Theorie. Da man aber im Rennen ist und Zeit spart, fährt man die bereits angesprochenen kurzen Abfahrten mit Fellen ab. „Kurz“ heißt hier bis max. 200 Hm Abfahrt. Als pflichtbewusste Triathleten, die im Wettkampf nichts dem Zufall überlassen, hatten wir im Vorfeld diese Fellabfahrten natürlich mehrfach geübt. An der Bergstation des Schattbergs wartete dann unsere weltbeste Supporterin Frauke. Hätte Sie nicht bei minus 14 Grad, Schneetreiben und Wind auf mich gewartet und mich angefeuert, ich hätte die Ski mitsamt Fellen und Harscheisen in die Ecke geschmissen und wäre mit der Seilbahn abgefahren. Unterwegs kam ich dann aber in den Genuss von perfekt organisierten Verpflegungsstationen, fantastischen Ausblicke auf Lichterketten von Sportlern entlang der Skipisten, anfeuernden Menschenmassen, die ihre Apres Ski Party auf die Piste verlegten, und kräftezehrenden Abfahrten in der Dunkelheit. So kämpfte ich mich dann bis ins Ziel, wo Frauke und der mittlerweile bereits umgezogene Reinhard mich laut schreiend schon erwarteten. Die Zieldurchfahrt auf der vom Veranstalter mit Schnee präparierten Dorfstraße in Saalbach war unbeschreiblich und ich bekomme immer noch Gänsehaut, wenn ich daran zurückdenke.
Nächstes Zwischenfazit: Reinhard hat es in die Top 100 mit einer Zielzeit von 2h27min geschafft, wohingegen ich mit 3h15min immerhin noch zweiter Darmstädter wurde!
Was haben wir nun gelernt:
Triathleten werden also im Winter gemacht. Keine Ahnung, ob das wirklich mit einem Skitourenrennen geht, aber was wir festhalten können: Nirgendwo findet man mehr Verrückte, mit denen man total außergewöhnliche Sachen machen kann, als bei uns im Verein. Auch wenn Triathleten nicht bei einem Skitourenrennen gemacht werden sollten, Freunde werden auf alle Fälle bei einem Skitourenrennen gemacht. Wir können Euch also wirklich nur empfehlen, immer mal wieder über den Tellerrand zu schauen und etwas „Neues“ auszuprobieren.
Eure Triathleten und Teilzeitwintersportler
Helmut und Reinhard
P.S.: Wer Lust hat, mit uns die Wissenschaftsstadt Darmstadt als die führende Wintersportdestination in Hessen auszubauen, der sei herzlich willkommen, sich bei uns zu melden – wir hätten da noch die ein oder andere Idee ;-).
Wie wir hörten, war sogar ein Teil unseres Triathlonnachwuchses zeitgleich auf internationalen Wintersportwettkämpfen in Lake Placid (USA) unterwegs und dabei auch erfolgreich!
Der Anfang ist also gemacht. Lasst uns darauf aufbauen! :-)
Bild- und Videomaterial:
Bericht DM Vertical Immenstadt ab Laufzeit 17:50 min.
https://www.allgäu.tv/mediathek/video/allgäu-tv-nachrichten-montag-7-januar/
Bericht Mountain Attack ab Laufzeit 10:50min.
https://www.facebook.com/mountain.attack/videos/531470354006787/